Klimafinanzierung und Transformation der Lebensmittelsysteme
Fünf Expertenerkenntnisse der COP27
Seit 2007 treffen sich jährlich führende Politiker aus aller Welt auf der COP, der Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, um über den Klimawandel zu diskutieren und die Umsetzung des Übereinkommens zu überprüfen und zu fördern. Unser Experte für Lebensmittelsysteme und naturbasierte Lösungen, Mauricio Benitez, nahm an der COP27 teil, um die Klimafinanzierung und den Wandel der Lebensmittelsysteme zu fördern und zu mobilisieren. Im Rückblick auf die Veranstaltung finden sich fünf bemerkenswerte Erkenntnisse aus erster Hand.
Verlagerung des Schwerpunkts auf "Lebensmittelsysteme"
Auf der letztjährigen COP26 in Glasgow standen die Schaffung kohlenstofffreier Märkte und die Verringerung der weltweiten Abhängigkeit von Kohle zugunsten erneuerbarer Energien im Mittelpunkt, während Lebensmittel und Landwirtschaft trotz ihrer Schlüsselrolle bei der Verringerung von Emissionen und Entwaldung in den nächsten Jahrzehnten nicht weit oben auf der Tagesordnung standen. Damals, als responsAbility die Strategie des Unternehmens für klimafreundliche Lebensmittelsysteme in Schottland vorgestellt hatte, gehörte die Firma zu den wenigen Investoren, die sich mit diesem Sektor befassten.
In diesem Jahr war die Situation völlig anders. Zum ersten Mal war ein ganzer Verhandlungstag der Landwirtschaft gewidmet, und fünf Pavillons verschrieben sich ausschliesslich der Diskussion über Lebensmittel und Landwirtschaft im Rahmen der Umsetzung des Pariser Abkommens. Dutzende von Nebenveranstaltungen in Form von Podiumsdiskussionen und Workshops fanden statt, um zu erörtern, inwieweit neben Energie, Verkehr und anderen emissionsintensiven Sektoren auch herkömmliche Lebensmittelsysteme Massnahmen zum Klimaschutz benötigen. Die Bemühungen führten zur Einführung eines Arbeitsprogramms zum Thema Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, das auf künftigen Konferenzen der Vertragsparteien durchgeführt werden soll. Endlich stand auch das Thema Ernährung wieder auf der Tagesordnung.
Klimaanpassung ist von zentraler Bedeutung
Schätzungsweise 350 Mrd. USD an jährlichen Investitionen sind erforderlich, um das Lebensmittelsystem umzugestalten, was neue Geschäftsmöglichkeiten im Wert von bis zu 4,5 Mrd. USD schaffen könnte. Investoren haben diese Aussicht vor allem unter dem Blickwinkel gesehen, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Die Finanzierungslücke gewinnt jedoch an Bedeutung, unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Klimaanpassung. Zum Beispiel produzieren Kleinbauern ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittel. Sie sind jedoch ausserordentlich stark vom Klimawandel betroffen und erhalten trotzdem nur 1,7 % der weltweiten Klimafinanzierung.
Im Rahmen der COP27 kam es zu einem emotionsgeladenen Meinungsaustausch über die notwendigen Finanzmittel, um Kleinbauern widerstandsfähiger zu machen und für klimabedingte Verluste und Schäden aufzukommen. Die Forderung der Entwicklungsländer nach Klimagerechtigkeit führte zu der historischen Verpflichtung der Industriestaaten, auf der COP27 eine endgültige Vereinbarung über einen "Loss and Damage"-Fonds zu schliessen. Diese Entscheidung trug auch zu den neuen Lebensmittelinitiativen bei, die darauf abzielen, Klimafinanzierung zu fördern, um die Widerstandsfähigkeit der Bauern in der südlichen Hemisphäre zu verbessern. Der Fokus der Unterstützung liegt dabei auf Frauen und Jugendlichen, während gleichzeitig eine gesunde Ernährung und Ernährungssicherheit gewährleistet werden sollen. Die Diskussionen boten jedoch wenig Details darüber, wie man angesichts der hohen Risiken von Agrarinvestitionen privates Kapital für die Anpassung an den Klimawandel gewinnen und nutzen kann.
Nutzung von Synergien und Technologien zur Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel
Landwirtschaftliche Praktiken, die die Klimaresistenz erhöhen, stellen in der Regel auch den Kohlenstoff im Boden wieder her und tragen so zur Abschwächung des Klimawandels bei. Um solche Synergien zu nutzen, könnte die Finanzierung regenerativer Praktiken, zugunsten der Landwirte, teilweise durch die Ausgabe von Kohlenstoffgutschriften unterstützt werden. Auf der COP27 wurden viele ausgereifte Initiativen vorgestellt, die Investoren dabei helfen könnten, klimafreundlichere Wege zu beschreiten. Darunter Plattformen die darauf abzielen, mittels Digitalisierung und Blockchain-Technologien, effizientere Verifizierung auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt zu ermöglichen. Durch die Tokenisierung von Impact-Initiativen, was auch die biologische Vielfalt und gesunde Lebensgrundlagen mit einschliesst, könnten Investoren, Käufer von Emissionsgutschriften oder auch Lebensmittelunternehmen versuchen, die Emissionen in ihrer Wertschöpfungskette zu reduzieren. Von Landwirten ausgestellte Emissionsgutschriften würden die Demokratisierung der Klimaversicherung unterstützen, indem sie Anreizsysteme fördern, die Kleinbauern für die Einführung klimafreundlicher Praktiken mit Emissionsgutschriften belohnen.
Der Klimawandel ist ein globales Problem, das lokal verstanden werden muss
Das Konzept der lokalen gesellschaftlichen Anpassung wurde breit diskutiert, um die Wichtigkeit der Unterstützung von Organisationen in Entwicklungsländern hervorzuheben und die Kapazitäten zur Durchführung von klimabedingten Anpassungsmassnahmen zu stärken. Das Problem ist sehr lokaler Natur, wodurch die Lösungsansätze in Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften individuell an Kontext und Situation angepasst werden sollten. Ein potenzieller Katalysator für die Auswirkungen im Landwirtschaftssektor sind lokale Finanzinstitutionen, die über ihr bestehendes Portfolio klimafreundliche Projekte umsetzen können. Damit diese Organisationen jedoch Finanzmittel zur Anpassung an den Klimawandel effizient einsetzen können, müssen Klimarisikobewertungen und wissenschaftlich fundierte Modelle auf granularer und geografischer Ebene verfügbar sein. Öffentlich zugängliche Daten müssen leicht zu interpretieren sein und in das Risikomanagement, das Portfoliomanagement und die Kreditwürdigkeitsprüfung der Organisationen einbezogen werden. Neben anderen Entwicklungen in diesem Bereich hat die CGIAR(Consultative Group on International Agricultural Research) ein praktisches Open-Source-Tool vorgestellt, das zur Erprobung bereitsteht und die breite Nutzung solcher Modelle unterstützen soll.
Künftige COPs bedürfen wieder Massnahmen und klarem Fokus
Seit responsAbility auf der COP26 als erste wissenschaftlich fundierte Lösung für die Klimafinanzierung von Nahrungsmittelsystemen bezeichnet wurde, haben wir einen langen Weg zurückgelegt. Auch in diesem Jahr sind die Diskussionen weiter vorangeschritten. Allerdings hat die COP27 deutlich an Umfang zugenommen, und die mangelnde Fokussierung wurde deutlich, als Hunderte von Nebenveranstaltungen miteinander konkurrierten, um den Wildwuchs der Netto-Null-Zusagen von Unternehmen, Think Tanks, Foren und Koalitionen zu bewältigen. Bei künftigen Konferenzen muss der Schwerpunkt wieder auf die politische Umsetzung gelegt werden, bevor es zu spät ist.
Wissenschaftler schätzten im Mai 2022, dass eine 50-prozentige Chance auf einen 1,5° Temperaturanstieg innerhalb der nächsten fünf Jahre besteht. Diese Berechnung erfordert sofortige Aufmerksamkeit und anstatt die Dynamik der allgemeinen Bereitschaft zu nutzen, um Fortschritte beim schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu erzielen, endete die COP27, ebenso wie die COP26, mit einer vagen Vereinbarung über schrittweise Ausstiege aus der umweltschädlichen Kohlekraft und den ineffizienten fossilen Brennstoffen. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die Welt die globalen Emissionen innerhalb von sieben Jahren um 50% senken. Dadurch wird deutlich, dass die Zeit drängt. Die COPs müssen den Fortschritt vorantreiben und es gibt keinen Platz für Stagnation. Die derzeit skizzierten Zusagen und Berichte über Fortschritte und konkrete Leistungen von Regierungen, Unternehmen und Investoren müssen im Mittelpunkt künftiger COPs stehen. Wenn die globale Erwärmung ungebremst weitergeht, wird die Welt nicht in der Lage sein, die Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren. Die Situation ist erneut sehr dringlich, und die COP28 muss greifbare Fortschritte erzielen.
Mauricio Benitez
Mauricio Benitez ist unser Food Systems Lead bei responsAbility. Er ist verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung neuer Anlagelösungen in den Bereichen Klimafinanzierung, nachhaltige Ernährung und Naturkapital. Derzeit arbeitet er an einer klimabezogenen Anlagelösung, die dabei helfen soll, die zentralen Herausforderungen unseres globalen Ernährungssystems anzugehen. Er kam 2009 zu responsAbility, nachdem er 10 Jahre lang in Lateinamerika und Osteuropa gearbeitet hatte und kleine Banken beim Management und der Verbesserung ihres Kreditrisikos und ihrer entsprechenden Strategie unterstützen konnte. Mauricio ist ein schweizerisch-bolivianischer Wirtschaftswissenschaftler und hat einen MEcon-Abschluss der University of the Western Cape sowie einen MA in Entwicklungsmanagement der Ruhr Universität Bochum.