Nachbeben und Widerstandsfähigkeit: Schwellenländer trotzen globalen Bankenturbulenzen
Der Bankensektor war in den letzten Wochen weltweit in Aufruhr. Was Anfang März mit den zweit- und drittgrössten Bankenpleiten in der Geschichte der USA, der Silicon Valley Bank (SVB) bzw. der Signature Bank, begann, setzte weitere US-Banken unter Druck, nicht zuletzt die Silvergate Bank, und gipfelte am 19. März in der Übernahme der Credit Suisse, einer der 30 ‘weltweit systemrelevanten’ Banken. Die Aktienkurse zahlreicher Banken sind im gleichen Zeitraum erheblich unter Druck geraten, wobei Bankenindizes einen Rückgang von 15 % (Europa, Stoxx 600 Banken) bis 20 % (USA, S&Ps 500 Banken) verzeichneten. Die Aufsichtsbehörden ergriffen umfangreiche Massnahmen, indem sie einige US-Banken schlossen, reichlich Liquidität bereitstellten, die Einleger beruhigten und - im Falle der Credit Suisse - die Übernahme durch die UBS einleiteten.
Die jüngsten Bankenzusammenbrüche: idiosynkratisch oder systemisch?
Die grosse Frage bleibt: Geht es hier um eine Reihe von idiosynkratrischen und eindämmbaren Problemen oder handelt es sich um Anzeichen für tiefgreifendere Probleme, die letztendlich Risiken für die Finanzstabilität darstellen? Falls Letzteres zutrifft: reichen die bisherigen Massnahmen aus, um das Vertrauen wiederherzustellen? Eine abschliessende Antwort lässt sich gegenwärtig nicht geben, da sich die Ereignisse erst jüngst überschlagen haben, die Situation im Fluss bleibt, und jederzeit neue Informationen die Dynamik in die eine oder andere Richtung lenken können.
Klar ist jedoch, das Vertrauen in die weltweiten Bankensysteme wurde erschüttert. Vieles deutet darauf hin, dass Banken möglicherweise weniger gut reguliert und stärker anfällig sind als bisher angenommen. Darüber hinaus könnte der steilste Zinserhöhungszyklus seit Jahrzehnten mehr Schaden anrichten als gemeinhin erwartet, nicht zuletzt durch teilweise unrealisierte Verluste in Anleiheportfolios.
Es gibt jedoch eine Reihe von Faktoren, die Zuversicht geben. So zeichnet sich beispielsweise ein Konsens ab, wonach die Hauptprobleme, welche die genannten Institute zu Fall brachten, vor allem schlechte Managementpraktiken sowie eine erheblich Exposition gegenüber dem Tech-Sektor und Laufzeitrisiko, eher idiosynkratrischer als systemischer Natur sind. Während viele Banken in Industrieländern (DM) unrealisierte Verluste aus Anleihebeständen haben, können diese Verluste leicht quantifiziert werden, was die Unsicherheit über den zugrunde liegenden Wert der Vermögenswerte beseitigt. Im Gegensatz dazu war während der globalen Finanzkrise der Wert von Hypotheken, die in hypothekarisch gesicherten Wertpapieren (MBS) verpackt waren, extrem schwer zu ermitteln. Berücksichtigt man die nicht bilanzierten Verluste aus Anleihebeständen, so liegen die Kapitalisierungsquoten der meisten Banken nach wie vor deutlich über den gesetzlichen Mindestanforderungen, da kaum andere Banken ein so hohes Laufzeitrisiko eingegangen sind wie die Silicon Valley Bank. Überdies sind Zentralbanken gut positioniert um mit Liquiditätsengpässen umzugehen, da Fazilitäten zur Liquiditätsversorgung von Banken zum Standardrepertoire gehören.
Mögliche Auswirkungen der jüngsten Bankenzusammenbrüche auf die Weltwirtschaft
Hinsichtlich der allgemeinen wirtschaftlichen Auswirkungen der Bankenzusammenbrüche senden die Finanzmärkte unterschiedliche Zeichen. Im Rohstoffbereich deuten die Preisrückgänge bei Energie und Industriemetallen sowie ein leichter Preisanstieg bei Edelmetallen auf eine gewisse Beeinträchtigung der globalen Wirtschaftstätigkeit hin. Die globalen Aktienmärkte haben sich jedoch recht gut gehalten, wobei sie hauptsächlich von den Aktienkursen der Finanzinstitute sowie der Energie- und Bergbauunternehmen nach unten gezogen wurden. Insgesamt signalisieren sie damit, dass der Druck auf Unternehmensgewinne überschaubar sein dürfte. Dass Zentralbanken trotz den jüngsten Turbulenzen ihren Straffungszyklus fortsetzen, ist ebenfalls ermutigend, signalisieren sie damit doch, dass sie als Wärter der Finanzstabilität der Auffassung sind, dass die Bankensysteme dies verkraften können. So erhöhten jüngst die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihre Leitzinse um 50 Basispunkte und die US-Notenbank (Fed) um 25 Basispunkte.
Übergreifende Risiken für Schwellenländer
Was bedeutet das nun für die Schwellenländer (EM)? Ohne nennenswerte direkte Forderungen an gescheiterte DM-Banken, müssen vier wesentliche Übertragungskanäle in Betracht gezogen werden: Vertrauen in die Banken, schlechtere externe Finanzierungsbedingungen, Änderungen der Terms-of-Trade und eine potenzielle Minderung der Auslandsnachfrage aus den entwickelten Märkten (DM).
Vertrauen in Banken
Jüngste Ereignisse erinnern daran, dass Banken tatsächlich manchmal scheitern und werden Anleger und Marktteilnehmer dazu veranlassen, Banken auf dieselben oder ähnliche Risiken zu überprüfen, welche die in Schwierigkeiten geratenen Banken zu Fall brachten. Während einige Probleme eindeutig institutsspezifisch waren (Credit Suisse), verdeutlicht der Konkurs der SVB das Risiko unrealisierter Verluste bei Anleihebeständen in Kombination mit Konzentrationsrisiken bei Bankeinlagen. Generell werden diese Risiken in den Schwellenländern nicht als hoch eingestuft, da Banken keine übermässig grossen Anleiheportfolios halten, in denen kaum festverzinsliche Vermögenswerte mit langer Laufzeit enthalten sind. Die meisten Banken sind daher nicht anfällig für grosse Verluste in ihren Anleiheportfolios, verursacht durch die starke Veränderung des Zinsumfelds im letzten Jahr. Zudem verfügen EM-Banken laut Moody's1 meist über eine stabile Finanzierung und reichlich Liquidität. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass "der Bankensektor in Schwellenländern stark aussieht", so Capital Economics2 , wobei die Schwellenländer "ausnahmsweise ein relativ sicherer Hafen" sind und "weniger Schwachstellen im Bankensektor" aufweisen, wie Oxford Economics3 feststellt. Diese Schlussfolgerung wird von den Märkten bestätigt, da die Aktienkurse der Banken in Schwellenländern seit Anfang März um rund 3% zurückgegangen sind, verglichen mit den Preiskorrekturen in Industrieländern, die etwa 10% betragen. Selbst wenn die Banken in den Schwellenländern relativ gut aufgestellt sind, besteht dennoch die Gefahr, dass sie über andere Kanäle mit negativen Spillovers aus den entwickelten Märkten konfrontiert werden.
Verschlechterung der externen Finanzierungsbedingungen
Die Verteuerung der externen Finanzierungsbedingungen ist ein weiterer Übertragungsmechanismus, da die Marktteilnehmer risikoaverser werden und riskante Vermögenswerte meiden. Seit Anfang März haben sich die Kreditspreads in vielen Schwellenländern tatsächlich ausgeweitet. Im Grossen und Ganzen waren die Finanzierungsbedingungen für schwächere Staaten jedoch schon vorher angespannt. So ist die jüngste Spreadausweitung positiv mit dem ursprünglichen Spread korreliert. Beispielsweise ist der Anteil der Staatsanleihen (im Emerging Markets Bond Index (EMBI) von JPM enthalten sind) – die als ausfallgefährdet eingestuft werden – von einem bereits zuvor hohen Niveau aus lediglich etwas angestiegen. Folglich haben die jüngsten Entwicklungen das Bild nicht grundlegend verändert.
Veränderungen der Terms-of-Trade
Wie bereits erwähnt, haben sich die Rohstoffpreise über den letzten Monat erheblich verändert. Sollten sich die Turbulenzen im Bankensektor der Industrieländer weiter verschärfen, würden die Preise für Energie und Industriemetalle wahrscheinlich weiter unter Druck geraten. Somit besteht die Gefahr, dass Schwellenländer grössere Schwankungen bei ihren Terms-of-Trade erleben, was den grossen Rohstoffexporteuren schadet und den Importeuren zugutekommt. In der Regel gibt es aber bei einem Rückgang der Rohstoffpreise mehr Gewinner als Verlierer. Zudem erfolgen die Rückgänge von recht hohen Niveaus aus, sodass sie selbst für die Verlierer verkraftbar sein dürften. Und nicht zuletzt wären sinkende Rohstoffpreise in einer Welt, die mit der Inflationsbekämpfung ringt, eigentlich willkommen, denn sie tragen dazu bei, die Inflationsrate wieder in Richtung Zielwert zu bringen. Insgesamt dürften Verschiebungen bei den Terms-of-Trade für die meisten Schwellenländer also keine grösseren Risiken darstellen.
Nachfrage aus Industrieländern
Letztendlich bleibt die Frage, ob Schwellenländer mit einem Rückgang der Auslandsnachfrage konfrontiert werden, sei es bei Rohstoffen oder Industrieerzeugnissen. Dazu müsste sich die Wachstumsdynamik in den Industrieländern als Reaktion auf die jüngsten Bankenturbulenzen deutlich abkühlen. Das ist aber derzeit nicht der Fall. Für die USA beispielsweise ist Moody's der Ansicht, dass "die breiteren wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen dieser Ereignisse angesichts der Grösse und Vielfalt der US-Wirtschaft begrenzt sein werden". 4
Fazit
Bislang scheinen die weltweiten Turbulenzen im Bankensektor dank des entschlossenen Handelns der Aufsichtsbehörden und Zentralbanken eingedämmt zu sein, und die Schwellenländer sind den Turbulenzen ohne grössere Folgen entkommen. Sollte sich die Lage wesentlich verschlechtern, würde die Übertragung auf die Schwellenländer vor allem über eine Verschärfung der externen Finanzierungsbedingungen erfolgen. Märkte mit bereits bestehender externer Anfälligkeit wären am stärksten betroffen, was ihren Bedarf an internationaler Hilfe noch erhöhen würde. Ein breites Spektrum aufstrebender Volkswirtschaften dürfte sich jedoch weiterhin relativ gut entwickeln und reichlich Geschäftsmöglichkeiten bieten.
1 Moody’s Sektor Kommentare über Banken in Afrika (“Risks of realising bond losses is low given solid liquidity and stable deposit bases”, 16.03.2023), Asia-Pacific (“Structural factors will limit impact of US bank failures”, 14.03.2023), CIS (“CIS banks are largely resilient to the recent events in the US”, 17.03.2023), and Latin America (“Contagion effect of US bank closures will be limited for LatAm banks”, 15.03.2023).
2Capital Economics: “EM banks: revisiting credit risks”, 21.03.2023
3Oxford Economics: “Global bank sell-off focuses on balance sheet vulnerabilities”, 15.03.2023
4 Mehr zu Moody’s Sektor Kommentar «Policymakers have responded promptly to bank stress but spillover risk is rising”, 22 March 2023
Philipp Waeber
Philipp Waeber ist Chefökonom von responsAbility. Mit 15 Jahren Erfahrung in makroökonomischer Analyse verfügt er über einen reichen Erfahrungsschatz bei der Bewertung grosser kontextbezogener Risiken für unsere Investitionen und verantwortet Investitionsentscheidungen in herausfordernden Märkten. Obwohl er seinen Fokus oft auf spezifische Länder legt, behält er das Gesamtbild im Auge und schreibt gelegentlich darüber, wie im obigen Artikel. Philipp hat einen zweisprachigen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und ist Chartered Financial Analyst (CFA).