Impact blog
Impact Blog: Die Krise zeigt, wie es ist, wenn Grundbedürfnisse plötzlich nicht mehr befriedigt werden
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg stellen wir uns hierzulande die Frage, ob den Geschäften die Lebensmittel ausgehen werden, ob das Stromnetz hält oder ob die Wirtschaft sich erholt. Alles, was wir für selbstverständlich gehalten haben, ist plötzlich in Frage gestellt. Die Krise bringt unsere besten Seiten zum Vorschein wie die aktive Unterstützung von Hilfsbedürftigen; aber auch die schlimmsten, wie panische Hamsterkäufe zeigen. Auch unser Zeithorizont hat sich drastisch verändert. Bei vielen geht es inzwischen darum, die nächste Stunde oder den nächsten Tag zu überstehen (bei Eltern, die versuchen, mit kleinen Kindern von zu Hause aus zu arbeiten: die nächste Minute).
Das Paradox ist, dass dieser Moment der globalen Ruhe und Isolation uns unseren Mitbürgern näher gebracht hat. Plötzlich wächst die Wertschätzung für lebenswichtige Arbeitskräfte, vom Arzt bis zum Supermarktarbeiter, und wir entwickeln zunehmend ein Bewusstsein dafür, wie prekär die Existenzgrundlagen in der Gigawirtschaft sind.
Ich hoffe, dass sich diese Wertschätzung auch auf die Millionen von Menschen in Entwicklungsländern erstreckt, für die die Unsicherheit über mangelnde formelle Beschäftigung, Nahrungsmittelknappheit, unzuverlässige Strom- und Gesundheitssysteme eine tägliche Realität ist. Und anders als im Westen wird dies auch nach einer Pandemie noch zutreffen, denn der Mangel an Dienstleistungen, die für die Grundbedürfnisse als lebenswichtig erachtetet werden, wird nicht durch Pandemien, sondern durch tiefgreifende, strukturelle Probleme verursacht. Darüber hinaus können diese Probleme nicht durch massive staatliche Interventionen gelöst werden, da viele Entwicklungsländer Schwierigkeiten haben, Steuern zu erheben oder effektiv einzusetzen.
Infolgedessen lebten viele Menschen in Schwellenländern bereits vor der Pandemie in einem Umfeld, in dem Wirtschaft und Lebensqualität routinemäßig durch fehlende oder unzuverlässige Grundversorgungsleistungen untergraben werden. 1,7 Milliarden Menschen hatten keinen Zugang zu Finanzierung, 860 Millionen Menschen hatten keinen Zugang zu Elektrizität, und weitere Millionen von Menschen konnten keinen rechtlichen Anspruch auf Land erheben, das seit Generationen im Besitz ihrer Familien ist, ihre Kinder in die Schule schicken oder eine Beschäftigung außerhalb des informellen Sektors finden.
Darüber hinaus kann der fehlende Zugang zu all diesen essentiellen Dienstleistungen auch die Fähigkeit von Haushalten beeinträchtigen, Krisen zu überstehen. Ohne Zugang zu verlässlicher Elektrizität haben Unternehmen Schwierigkeiten, Aufträge zu erfüllen und vorausschauend zu planen. Ohne Zugang zu formeller Beschäftigung sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ländern ohne Sozialstaat nicht vor einem wirtschaftlichen Abschwung geschützt. Ohne Zugang zu einem Bankkonto haben Haushalte Schwierigkeiten, Ersparnisse zurückzulegen zur Vorbereitung auf Gesundheitsprobleme oder Naturkatastrophen.
Die Covid19-Krise ist sicherlich eine menschliche und wirtschaftliche Katastrophe, die unsere Gesellschaft für immer verändern wird. Und seit Beginn der Pandemie haben sich einige Kommentatoren auf die Hoffnung konzentriert, dass sie ein Umdenken bewirken wird bezüglich unserer Wirtschaftspolitik, der herrschenden Ungleichheit auf der Welt oder andere existenziellen Krisen wie etwa dem Klimawandel. Wir wissen nicht, wie lange die Quarantäne dauern wird (vermutlich noch einige Wochen). Noch weniger können wir erahnen, wie lange deren Auswirkungen nachhallen werden. Aber wenn wir in diesem Moment merken, was es bedeutet, keinen Zugang zu Dingen zu haben, die wir als selbstverständlich erachten, führt das hoffentlich dazu, dass wir uns in Zukunft weigern werden, Armut jeglicher Art zu tolerieren – überall auf der Welt.
Paul Hailey
Paul Hailey ist Head of Sustainability and Impact bei responsAbility Investments und Autor verschiedener Publikationen und Artikel. Bei responsAbility war er zuvor unter anderem als Senior Research Analyst für den Finanzsektor tätig. Er hat einen MBA von der École des Hautes Études Commerciales de Paris (HEC Paris), wo er auch als Dozent tätig ist, und einen B.A. (Hons) vom Pembroke College, University of Cambridge.